Kapitel F

Schutz gegen elektrischen Schlag und elektrische Brände


Es werden im Allgemeinen drei Berechnungsmethoden verwendet:

  • die Impedanzenmethode auf Grundlage der trigonometrischen Addition der Widerstände und Induktivitäten des Systems,
  • die Zusammensetzungsmethode,
  • die konventionelle Methode auf Grundlage eines angenommenen Spannungsfalls und der Verwendung entsprechender Tabellen.

Methoden zur Bestimmung von Kurzschlussstromwerten

In TN-Systemen hat ein Fehler gegen Erde grundsätzlich immer einen Strom zur Folge, dessen Stärke fast immer zur Auslösung einer Überstromschutzeinrichtung führt.

Die Quellen- und Versorgungsnetzimpedanzen sind viel niedriger, als die der Anlagenstromkreise, so dass die Fehlerströme gegen Erde hauptsächlich durch die Anlagenleiter begrenzt werden (lange flexible Geräteleitungen erhöhen die Fehlerschleifenimpedanz stark und reduzieren entsprechend den Kurzschlussstrom).

Die neuesten IEC-Empfehlungen zum Schutz gegen indirektes Berühren in TN-Systemen beziehen sich auf die maximal zulässigen Auslösezeiten im Verhältnis zur System-Nennspannung (siehe Abschaltzeiten Abbildung F18).

Hintergrund dieser Empfehlungen ist die Tatsache, dass der notwendige Strom zur Potentialerhöhung eines berührbaren leitfähigen Teils auf 50 V oder mehr in TN-Systemen so hoch ist, dass eine der folgenden Möglichkeiten eintritt:

  • entweder der Fehler wird praktisch unverzögert von selbst behoben
  • oder der Leiter beinhaltet einen Dauerfehler und liefert einen für die Auslösung der Überstromschutzeinrichtungen ausreichenden Stromwert.

Um in letzterem Fall die fehlerfreie Funktion von Überstromschutzgeräten sicherzustellen, müssen die Erdschlussstromwerte in der Planungsphase eines Projektes entsprechend genau eingeschätzt und festgelegt werden.

Für eine genauere Analyse ist für jeden betreffenden Stromkreis eine Außenleitermessung durchzuführen. Dieses Prinzip ist unkompliziert, jedoch ist der Berechnungsaufwand nicht gerechtfertigt, besonders weil eine ausreichend genaue Bestimmung der Nullimpedanzen in einer durchschnittlichen NS-Anlage sehr schwierig ist.

Es werden andere einfachere Methoden bevorzugt, die zu ausreichend genauen Ergebnissen führen. Drei praktische Methoden sind:

  • Die „Impedanzenmethode” auf Grundlage der Summierung aller Impedanzen (nur der Mitimpedanzen) in der Fehlerschleife (für jeden Stromkreis).
  • Die „Zusammensetzungsmethode” beinhaltet die Schätzung des Kurzschlussstromes am entfernten Schleifenende, wenn der Kurzschlussstromwert am naheliegenden Schleifenende bekannt ist.
  • Die „konventionelle Methode” zur Berechnung der minimalen Erdfehlerstromwerte mit Hilfe von Wertetabellen für den schnellen Erhalt von Ergebnissen.

Diese Methoden sind nur dann zuverlässig, wenn die Leitungen der Erdfehlerschleife nah beieinanderliegen und nicht durch ferromagnetische Werkstoffe getrennt sind.

Impedanzenmethode

Eine modernere Berechnungsmethode ist die Verwendung einer Software, die auf der Impedanzenmethode basiert, wie z. B. Caneco BT SE.

Nach dieser Methode werden die Mitimpedanzen jedes Elementes im Erdfehlerschleifenstromkreis (Leitungen, PE-Leiter, Transformator usw.) addiert. Aus der Summe wird der Erdfehlerstrom mit Hilfe der folgenden Formel berechnet:

[math]\displaystyle{ I_d=\frac{Uo}{\sqrt{\left ( \sum R \right )^2 + \left ( \sum X \right )^2 }} }[/math]

wobei gilt:

U0 = Bemessungsspannung zwischen Außenleiter und Neutralleiter.
(ΣR)2 = (Summe aller Widerstände in der Schleife))2 in der Planungsphase des Projektes
(ΣX)2 = (Summe aller Induktivitäten in der Schleife))2

Die Anwendung dieser Methode ist nicht immer einfach, denn sie setzt die Kenntnis aller Parameterwerte und Kenndaten der Schleifenelemente voraus. In einigen Fällen können typische Schätzwerte nationalen Leitfäden entnommen werden.

Zusammensetzungsmethode

Diese Methode ermöglicht die Bestimmung des Kurzschlussstromes am entfernten Schleifenende mit Hilfe des bekannten Kurzschlussstromwertes am naheliegenden Schleifenende. Dabei wird folgende Formel verwendet:

[math]\displaystyle{ I_k=I_{kmax}\frac{U_r}{U_o + Z_S I_{kmax}} }[/math]

wobei gilt:

IKmax = vorgelagerter Kurzschlussstrom
IK = Kurzschlussstrom am Schleifenende
Ur = Bemessungsspannung zwischen den Außenleitern
Zs = Impedanz der Fehlerschleife

Hinweis: Nach dieser Methode werden die einzelnen Impedanzen arithmetisch[1] addiert (im Gegensatz zur vorherigen „Impedanzenmethode”).

Konventionelle Methode

Mit dieser Methode können im Allgemeinen die maximalen Leitungslängen recht genau festgelegt werden.

Prinzip

Diese Methode zur Berechnung des Kurzschlussstromes beruht auf der Annahme, dass die Spannung an der Einspeisung des betreffenden Stromkreises (d.h. an der Stelle, an der sich das Schutzgerät des Stromkreises befindet) gleich 80 % oder mehr der Nennspannung der Anlage beträgt. Der Wert 80 % wird, zusammen mit der Schleifenimpedanz des Stromkreises, zur Berechnung des Kurzschlussstromes verwendet.

Dieser Faktor berücksichtigt alle dem betrachteten Punkt vorgelagerten Spannungsfälle. In NS-Leitungen befinden sich normalerweise alle Leiter eines dreiphasigen, vieradrigen Stromkreises nah beieinander und die leiterinterne Induktivität sowie die Induktivität zwischen den Leitern sind, verglichen mit dem Leitungswiderstand, vernachlässigbar klein.

Diese Näherung gilt für Leitungsquerschnitte bis 120 mm2.

Bei größeren Leitungsquerschnitten erhöht sich der Widerstandswert R wie folgt:

Leitungsquerschnitt (mm2) Widerstandswert
S = 150 mm2 R+15%
S = 185 mm2 R+20%
S = 240 mm2 R+25%

Die maximale Leitungslänge in einem Stromkreis einer Anlage mit TN-Erdungsschema wird mit folgender Formel berechnet:
[math]\displaystyle{ Lmax=\frac{0.8\ Uo\ Sph}{\rho \left ( 1+m \right )Ia} }[/math]

wobei gilt:

Lmax = max. Länge (m)
Uo = Bemessungsspannung zwischen Außenleiter und Neutralleiter
ρ = Leiterwiderstand bei Normaltemperatur in Ohm-mm)2: /m

(= 22,5 x 10-3 für Kupfer; = 36 x 10-3 für Aluminium)

Ia = Auslösestrom für eine unverzögerte Leistungsschalterauslösung oder
Ia = Auslösestrom der betreffenden Schutzsicherung (für eine Auslösung innerhalb der festgelegten Zeit).

[math]\displaystyle{ m=\frac{S_{ph}}{S_{PE}} }[/math]

Sph = Querschnitt der Außenleiter des betreffenden Stromkreises in mm2
SPE = Querschnitt des betreffenden Schutzleiters in mm2 (siehe Abb. F22).

Abb. F22 – Berechnung von Lmax für ein TN-System mit Hilfe der konventionellen Methode.

Tabellen

Die folgenden Tabellen enthalten die nicht zu überschreitenden Leitungslängen, um den Schutz von Personen gegen indirektes Berühren mit Hilfe von Schutzgeräten sicherzustellen.

Die folgenden Tabellen sind auf TN-Systeme anwendbar und wurden entsprechend der oben beschriebenen „konventionellen Methode” erstellt.

Die Tabellen enthalten die maximalen Leitungslängen. Bei größeren Längen begrenzen die Ohmschen Leiterwiderstände den Kurzschlussstrom auf einen Wert, der unter dem Auslöseansprechwert des den Stromkreis schützenden Leistungsschalters liegt (oder dem Schmelzintegral der Sicherung). Dann erfolgt die Auslösung nicht schnell genug, um den Schutz gegen indirektes Berühren sicherzustellen.

Korrekturfaktor m

Abb. F23 enthält den auf die Werte den Abb. F24 bis Abb. F27 anzuwendenden Korrekturfaktor (entsprechend dem Faktor Sph/SPE, dem Stromkreistyp und der Leiterwerkstoffe).

Die Tabellen berücksichtigen:

  • den Schutzgerätetyp: Leistungsschalter, Leitungsschutzschalter oder Sicherungen
  • den Auslösestromwert
  • den Querschnitt der Außenleiter und Schutzleiter
  • das Erdungssystem (siehe Abb. F28)
  • die Auslösecharakteristik des Leitungsschutzschalters (d.h. B, C oder D)[2]

Die Tabellen können für 230/400 V-Netze verwendet werden.

Die entsprechenden Tabellen für den Schutz durch Leistungsschalter von Schneider Electric vom Typ ComPacT und Leitungsschutzschalter vom Typ Acti 9 finden Sie in den entsprechenden Katalogen dieser Schaltgeräte.

Abb. F23 – Anzuwendender Korrekturfaktor m auf die in den Tabellen F24 bis F27 angegebenen Längen für TN-Systeme.
Stromkreis Leiterwerkstoff m = Sph/SPE (oder PEN)
m = 1 m = 2 m = 3 m = 4
3P + N oder P + N Kupfer 1 0,67 0,50 0,40
Aluminium 0,62 0,42 0,31 0,25

Schutz von Stromkreisen durch Leistungsschalter für allgemeine Anwendungen

Abb. F24a und F24b

Abb. F24a – Maximale Leitungslängen (in m) für verschiedene Kupferleiterquerschnitte und unverzögerte Auslösestromwerte für Leistungsschalter für allgemeine Anwendungen in einem 230/240 V TN-System mit m = 1.
Nennquer
schnitt der
Leiter
Unverzögerter oder kurzzeitverzögerter Auslösestrom Im (Isd) (A)
mm2 50 63 80 100 125 160 200 250 320 400 500 560 630 700 800 875
1.5 100 79 63 50 40 31 25 20 16 13 10 9 8 7 6 6
2.5 167 133 104 83 67 52 42 33 26 21 17 15 13 12 10 10
4 267 212 167 133 107 83 67 53 42 33 27 24 21 19 17 15
6 400 317 250 200 160 125 100 80 63 50 40 36 32 29 25 23
10 417 333 267 208 167 133 104 83 67 60 53 48 42 38
16 427 333 267 213 167 133 107 95 85 76 67 61
25 417 333 260 208 167 149 132 119 104 95
35 467 365 292 233 208 185 167 146 133
50 495 396 317 283 251 226 198 181
70 417 370 333 292 267
95 452 396 362
120 457
Abb. F24b – Maximale Leitungslängen (in m) für verschiedene Kupferleiterquerschnitte und unverzögerte Auslösestromwerte für Leistungsschalter für allgemeine Anwendungen in einem 230/240 V TN-System mit m = 1.
Nennquer
schnitt der
Leiter
Unverzögerter oder kurzzeitverzögerter Auslösestrom Im (Isd) (A)
mm2 1000 1120 1250 1600 2000 2500 3200 4000 5000 6300 8000 10000 12500
1.5 5 4 4
2.5 8 7 7 5 4
4 13 12 11 8 7 5 4
6 20 18 16 13 10 8 6 5 4
10 33 30 27 21 17 13 10 8 7 5 4
16 53 48 43 33 27 21 17 13 11 8 7 5 4
25 83 74 67 52 42 33 26 21 17 13 10 8 7
35 117 104 93 73 58 47 36 29 23 19 15 12 9
50 158 141 127 99 79 63 49 40 32 25 20 16 13
70 233 208 187 146 117 93 73 58 47 37 29 23 19
95 317 283 263 198 158 127 99 79 63 50 40 32 25
120 400 357 320 250 200 160 125 100 80 63 50 40 32
150 435 388 348 272 217 174 136 109 87 69 54 43 35
185 459 411 321 257 206 161 128 103 82 64 51 41
240 400 320 256 200 160 128 102 80 64 51

Schutz von Stromkreisen durch die Leistungsschalter vom Typ ComPacT[3] oder Leitungsschutzschalter vom Typ Acti 9[3] für industrielle Anwendungen oder Haushaltinstallation

(Abb. F21 bis Abb. F22)

Abb. F25 – Maximale Leitungslängen (in m) für verschiedene Kupferleiterquerschnitte und Bemessungsströme für Leistungsschalter Typ B[2] in einem 1- oder 3-phasigen 230/240 V-TN-System mit m = 1.
Sph Bemessungsstrom (A)
mm2 1 2 3 4 6 10 16 20 25 32 40 50 63 80 100 125
1,5 1200 600 400 300 200 120 75
2,5 1000 666 500 333 200 125 100 80
4 1066 800 533 320 200 160 128 100
6 1200 800 480 300 240 192 150 120
10 800 500 400 320 250 200 160
16 800 640 512 400 320 256 203 160
25 800 625 500 400 317 250 200
35 875 700 560 444 350 280 224
50 760 603 475 380 304
Abb. F26 – Maximale Leitungslängen (in m) für verschiedene Kupferleiterquerschnitte und Bemessungsströme für Leistungsschalter Typ C[2] in einem 1- oder 3-phasigen 230/240 V-TN-System mit m = 1.
Sph Bemessungsstrom (A)
mm2 1 2 3 4 6 10 16 20 25 32 40 50 63 80 100 125
1,5 600 300 200 150 100 60 37
2,5 500 333 250 167 100 62 50 40
4 533 400 267 160 100 80 64 50
6 600 400 240 150 120 96 75 60
10 667 400 250 200 160 125 100 80
16 640 400 320 256 200 160 128 101 80
25 625 500 400 312 250 200 159 125 100
35 875 700 560 437 350 280 222 175 140 112
50 760 594 475 380 301 237 190 152
Abb. F27 – Maximale Leitungslängen (in m) für verschiedene Kupferleiterquerschnitte und Bemessungsströme für Leistungsschalter Typ D[2] in einem 1- oder 3-phasigen 230/240 V-TN-System mit m = 1.
Sph Bemessungsstrom (A)
mm2 1 2 3 4 6 10 16 20 25 32 40 50 63 80 100 125
1,5 429 214 143 107 71 43 27
2,5 714 357 238 179 119 71 45 36 29
4 571 381 286 190 114 71 57 46 36
6 857 571 429 286 171 107 86 69 54 43
10 952 714 476 286 179 143 114 89 71 57
16 762 457 286 229 183 143 114 91 73 57
25 714 446 357 286 223 179 143 113 89 71
35 625 500 400 313 250 200 159 125 100 80
50 679 543 424 339 271 215 170 136 109

Beispiel

Es handelt sich um eine vieradrige Drehstromanlage (230/400 V) im TN-C-System. Ein Stromkreis wird durch einen Leitungsschutzschalter Typ B mit einem Bemessungsstrom von 63 A geschützt. Die Leiter sind aus Aluminium, der Außenleiterquerschnitt beträgt 50 mm2 und kombiniertem Schutz- und Neutralleiter (PEN) mit einem Querschnitt von 25 mm2.

Bis zu welcher Leitungslänge ist der Schutz von Personen gegen indirektes Berühren durch das unverzögerte magnetische Auslöserelais des Leistungsschalters gewährleistet?

Abbildung F25 gibt für einen Leiterquerschnitt von 50 mm2 und einen Leistungsschalter Typ B für 63 A eine Länge von 603 m an. Bei Aluminium Kabel ist der Faktor 0,42 anzuwenden (Abbildung F44 für [math]\displaystyle{ m=\frac{S_{ph}}{S_{PE}}=2 }[/math]).

Die maximale Leitungslänge beträgt daher:

603 m x 0,42 = 253 m.

Spezieller Fall: Die berührbaren leitfähigen Teile sind mit einem separaten Erdungsanschluß verbunden.

Der Schutz gegen indirektes Berühren muss durch ein Schaltgerät mit Fehlerstromschutz gewährleistet sein, das sich an der Einspeisung jedes Stromkreises befindet, der ein Gerät oder eine Gerätegruppe versorgt, deren berührbare leitfähige Teile mit einem separaten Erdungsanschluss verbunden sind.

Die Empfindlichkeit des Schaltgerätes mit Fehlerstromschutz muss auf den Widerstand des Erdungsanschlusses abgestimmt sein (RA2 in Abb. F28). Siehe entsprechende Angaben zu TT-Systemen.

Abb. F28 – Separater Erdungsanschluss

Anmerkung

  1. ^ Man erhält hier einen berechneten Stromwert, der niedriger ist, als der tatsächlich fließende Strom. Basieren die Überstromeinstellungen auf diesem berechneten Wert, ist eine zuverlässige Auslösung des Relais oder der Sicherung sichergestellt.
  2. ^ 1 2 3 4 Die Definition der Leistungsschalterausführungen B, C und D finden Sie in Kapitel H, im Abschnitt Einstellstrom der Kurzschlussschutzeinrichtung (Im)
  3. ^ 1 2 Produkte von Schneider Electric.
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