Schutzmaßnahme Automatische Abschaltung im TN System
Prinzip
Die automatische Abschaltung in TN-Systemen erfolgt durch Überstromschutzeinrichtungen oder Fehlerstrom-Schutzeinrichtungen (RCDs).
In diesem Netzsystem sind alle Körper der elektrischen Betriebsmittel einer Anlage direkt über Schutzleiter/PEN-Leiter mit dem geerdeten Punkt der Stromquelle verbunden.
Wie in Kapitel E, Definition der Systeme nach Art der Erdverbindung beschrieben, muss unterschieden werden, ob das TN-System als TN-C-, TN-S- oder TN-C-S-System errichtet wird. In Abbildung F12 wird ein TN-C-System dargestellt, in dem der vom Sternpunkt der Stromquelle kommende Leiter sowohl als Schutzleiter als auch als Neutralleiter, d.h. als PEN-Leiter fungiert. In allen TN-Systemen hat jeder Isolationsfehler zwischen Außenleiter und Schutzleiter/Erde einen Kurzschluss zwischen Außenleiter und Schutzleiter/PEN-Leiter zur Folge. Hohe Fehlerstromwerte ermöglichen die Verwendung von Überstromschutzeinrichtungen. Auch hierbei können an der Fehlerstelle während der kurzen Abschaltzeit Berührungsspannungen von über 50 % der Spannung zwischen Außenleiter und Neutralleiter auftreten (im Gegensatz zum TT-System, wo fast immer die volle Spannung gegen die Erde auftreten kann).
In der Praxis profitieren die Energieversorger von der Tatsache, dass bei jeder Baumaßnahme ein Fundamenterder (über einen PEN-Leiter) installiert werden muss. Hierdurch wird die Erdungsimpedanz des Versorgungsnetzes gestützt.
In großen Anlagen mit HS-Einspeisung werden häufig zusätzliche Tiefenerder oder Fundamenterder installiert, um die Berührungsspannung so stark wie möglich zu reduzieren. In Hochhäusern sind alle außenliegenden leitfähigen Teile mit dem Schutzleiter auf jeder Ebene verbunden. Zur Gewährleistung eines angemessenen Schutzes muss der Fehlerstrom gegen Erde:
[math]\displaystyle{ {I_d}=\frac{U_o}{Z_s} }[/math] größer oder gleich Ia sein,
wobei:
Uo = Nennwechselspannung (effektiv) zwischen Außenleiter und Erde
Id = Fehlerstrom
Ia = erforderlicher Stromwert zur Auslösung der Schutzeinrichtung (in Abhängigkeit von der festgelegten Abschaltzeit)
Zs = Fehlerschleifenimpedanz; entspricht der Summe der Quellenimpedanzen, der Impedanz des stromführenden Außenleiters zur Fehlerstelle und der Impedanz des Schutzleiters von der Fehlerstelle zurück zur Quelle.
Hinweis: Durch den immer vorhandenen Parallelpfad über die Erde verbessert sich die Abschaltbedingung, wird aber üblicherweise nicht berücksichtigt (Sicherheitsfaktor).
Beispiel
(siehe Abb. F12)
Die Berührungsspannung beträgt [math]\displaystyle{ U_B=\frac{230}{2}=115\ V }[/math] und ist daher gefährlich.
Die Impedanz der Fehlerschleife beträgt: Zs=ZAB + ZBC + ZDE + ZEN + ZNA.
Sind ZBC und ZDE vorherrschend, gilt:
[math]\displaystyle{ Z_s=2\rho\frac{L}{S}=64,3\ m\Omega }[/math], so dass
[math]\displaystyle{ I_d=\frac{230}{64,3\times{10^{-3}}}=3576 A }[/math](≈ 22 In bei einem Leistungsschalter NSX 160).
Der Einstellwert des „unverzögerten” magnetischen Auslösesystems des Leistungsschalters ist sehr viel geringer als dieser Kurzschlusswert, so dass eine einwandfreie Auslösung innerhalb der schnellstmöglichsten Zeit gewährleistet ist.
Hinweis: In einigen Fällen wird solchen Berechnungen ein Spannungsfall von 20 % im Teil der Impedanzschleife zugrunde gelegt.
[math]\displaystyle{ I_d=0,8\frac{U_o}{Z_c} }[/math] größer oder gleich Ia, wobei:
- Zc: Schleifenwiderstand des Fehlerstromes (bei Kurzschlusstemperatur am Leiter)
Diese Methode wird empfohlen und in Kapitel F, „konventionelle Methode” genauer beschrieben. Man erhält in diesem Beispiel einen geschätzten Fehlerstrom von:
[math]\displaystyle{ \frac{230\times{0,8}\times{10^3}}{64,3}= 2816 }[/math] (≈ 18 In).
Festgelegte maximale Abschaltzeiten
In der Norm IEC 60364-4-41 (VDE 0100-410) wird die maximale Abschaltzeit von im TN-System verwendeten Schutzgeräten zum Schutz gegen indirektes Berühren festgelegt:
- Für alle Endstromkreise mit einem Bemessungsstrom kleiner 63 A liegt die maximale Abschaltzeit unter den Werten in Abbildung F13.
- Für alle anderen Stromkreise ist die maximale Abschaltzeit auf 5 s festgelegt.
- Dieser Grenzwert ermöglicht Selektivität zwischen den in Verteilungsstromkreisen installierten Schutzgeräten.
Hinweis: Die Verwendung von Schaltgeräten mit Fehlerstromschutz kann in TN-Systemen erforderlich sein. Bei der Verwendung von Schaltgeräten mit Fehlerstromschutz in TN-C-S-Systemen müssen der Schutzleiter und der Neutralleiter (natürlich) an einer dem Schaltgerät mit Fehlerstromschutz vorgelagerten Stelle getrennt werden. Diese Trennung wird im Allgemeinen am Hausanschluss vorgenommen.
Uo[a] (V) | Abschaltzeit (s) |
---|---|
50 < Uo ≤ 120 | 0,8 |
120 < Uo ≤ 230 | 0,4 |
230 < Uo ≤ 400 | 0,2 |
Uo > 400 | 0,1 |
[a] Uo = Nennspannung zwischen Außenleiter und Erde.
Schutz durch Leistungsschalter
(siehe Abb. F14)
Wird der Schutz durch einen Leistungsschalter gewährleistet, ist sicherzustellen, dass der Fehlerstrom immer den Einstellstromwert des unverzögerten oder kurzzeitverzögerten Auslösesystems Im (Isd) überschreitet.
Das unverzögerte Auslösesystem eines Leistungsschalters beseitigt einen Körperschluss/Erdschluss in weniger als 0,1 s.
Folglich ist eine automatische Abschaltung der Stromversorgung innerhalb der maximal zulässigen Zeit stets gewährleistet, da alle Auslösesystemausführungen (magnetisch, elektronisch, unverzögert oder kurzzeitverzögert) geeignet sind (Ia = Im (Isd)).
Die in den entsprechenden Normen zugelassene maximale Toleranz muss immer berücksichtigt werden. Es ist daher ausreichend, dass der errechnete (oder vor Ort ermittelte) Fehlerstrom [math]\displaystyle{ \frac {U_o}{Z_s} }[/math] od. [math]\displaystyle{ 0,8 \frac{U_o}{Z_c} }[/math] höher ist, als der unverzögerte Einstellwert des Auslösestroms oder als der kurzzeitverzögerte Auslöseansprechwert, um eine Auslösung innerhalb der zulässigen Zeit sicherzustellen.
Schutz durch Sicherungen
(siehe Abb. F15)
Ia kann mit Hilfe der Strom/Zeit-Kennlinie der Sicherung bestimmt werden. Der Schutz ist in keinem Fall gewährleistet, wenn die Impedanz der Fehlerschleife Zs oder Zc einen bestimmten Wert überschreitet.
Der für das Schmelzen einer Sicherung erforderliche Stromwert kann der Strom/Zeit-Kennlinie der betreffenden Sicherung entnommen werden.
Der zuvor bestimmte Fehlerstrom [math]\displaystyle{ \frac {U_o}{Z_s} }[/math] od. [math]\displaystyle{ 0,8 \frac{U_o}{Z_c} }[/math] muss den für das Schmelzen der
Sicherung erforderlichen Fehlerstrom weit überschreiten. Die zu prüfende Bedingung lautet daher: [math]\displaystyle{ I_a \lt \frac {U_o}{Z_s} }[/math] od. [math]\displaystyle{ 0,8 \frac{U_o}{Z_c} }[/math] (siehe Abb. F15).
Beispiel: Die Nennspannung zwischen Außenleiter und Erde des Netzes beträgt 230 V. Die maximale Abschaltzeit beträgt laut Kennlinie in Abbildung F15 0,4 s. Der entsprechende Ia-Wert kann der Kennlinie entnommen werden. Unter Verwendung der Spannung (230 V) und des Stromes Ia kann die gesamte zulässige Schleifenimpedanz oder die Schleifenimpedanz des Stromkreises wie folgt berechnet werden:
[math]\displaystyle{ Z_s =\frac {230}{I_a} }[/math] od. [math]\displaystyle{ Z_c = 0,8 \frac{230}{I_a} }[/math]
Diese Impedanzwerte dürfen niemals überschritten werden und sollten vorzugsweise wesentlich kleiner sein, um das einwandfreie Auslösen der Sicherung sicherzustellen.
Schutz durch Fehlerstrom-Schutzeinrichtungen (RCDs) in TN-S-Systemen
Schaltgeräte mit Fehlerstromschutz müssen dort verwendet werden, wo:
- die Schleifenimpedanz nicht exakt bestimmt werden kann (schwer zu schätzende Leitungslängen, metallische Werkstoffe nahe der Leitungen),
- der Fehlerstrom so niedrig ist, dass die max. zulässige Abschaltzeit bei Verwendung von Überstromschutzeinrichtungen nicht eingehalten werden kann,
- Stromkreise mit Steckdosen bis 20 A, die von Laien benutzt werden (IEC 60364-4-410 (VDE 0100-410)),
- Endstromkreise für im Außenbereich verwendete tragbare Betriebsmittel mit einem Bemessungsstrom nicht größer als 32 A.
Da der Bemessungsauslösestrom von Schaltgeräten mit Fehlerstromschutz nur einige Ampere beträgt, liegt er im Allgemeinen weit unter den auftretenden Fehlerstromwerten. Folglich sind Fehlerstromschutzgeräte hier gut geeignet. In der Praxis werden RCDs als Zusatzschutz in Unterverteilern nahe der Endstromreise installiert,
- wenn der Schleifenwiderstand zu hochohmig ist, um die automatische Abschaltung zu gewährleisten,
- oder auf Anforderungen aus Installationsnormen für Sonderbereiche (IEC 60364-7ff (VDE 0100-7ff)