Empfehlungen zur Optimierung der Verteilnetzarchitektur

Aus Planungskompendium Energieverteilung
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Diese Empfehlungen sollen dem Planer Wege zur Optimierung der Verteilnetzarchitektur aufzeigen, die eine noch genauere Erfüllung der Anforderungen ermöglichen.

Arbeitsaufwand vor Ort

Um „spezielle“ bzw. „kritische“ Zeitvorgaben für die Arbeit vor Ort einzu­hal­ten, wird empfohlen, bestimmte Unsicherheitsfaktoren durch Befolgen der nachstehenden Empfehlungen zu minimieren:

  • Vom Hersteller validierte und getestete, normenkonforme und standardisierte Schaltanlagen, Ausführung nach den für das Projekt festgelegten Anwendungskriterien,
  • Einsatz von Betriebsmitteln, die sowohl verfügbar sind und für welche die technische Unterstützung vor Ort sichergestellt ist,
  • Vorzug für fabrikfertige Betriebsmittel (MS/NS-Verteilnetzstationen, Schienenverteilersysteme) zur Verringerung des Arbeitsaufkommens vor Ort,
  • Beschränkung der Typenvielfalt der verbauten Betriebsmittel (z. B. Trafos mit nur wenigen Leistungsklassen),
  • keine Bestückung mit Betriebsmitteln verschiedener Hersteller.

Umwelteinflüsse

Zur Optimierung der Ökobilanz einer Anlage sind folgende Faktoren zu berücksichtigen:

  • Verlustleistung der eingesetzten Betriebsmittel bei Nennlast und im lastfreien Zustand, betrachtet auf die Lebensdauer und die Jahresverlustleistung,
  • Ökobilanz der zur Erstellung der Anlage eingesetzten Werkstoffe.

Diese beiden Ziele stehen, jedes für sich genommen, bei der isolierten Betrachtung eines Einzelgerätes scheinbar im Widerspruch zueinander. Auf Anlagenebene ist es jedoch möglich, die Architektur so zu planen, dass beide Ziele erfolgreich umgesetzt werden können. Die optimale Architektur ergibt sich deshalb nicht aus der Summe der am besten geeig­neten Einzelbetriebsmittel, sondern ist das Ergebnis einer Optimierung der Gesamtanlage.

Abbildung D25 zeigt ein Beispiel, wie die einzelnen Betriebsmittelkategorien zum Gewicht und zur Verlustleistung einer über eine Fläche von 10000m2 verteilten 3500-kVA-Anlage beitragen.

Abb. D25 – Beispiel zur prozentualen Verteilung der Verlustleistung und des Werkstoffgewichts für alle Betriebsmittelkategorien

Allgemein ausgedrückt, leisten die NS-Kabel und -Schienenverteiler sowie die MS/NS- Verteiltransformatoren den Hauptbeitrag zu den Energieverlusten im laufenden Betrieb und dem Gesamtgewicht der Betriebsmittel. Die Optimierung einer Anlagen­architektur unter Umweltgesichtspunkten muss deshalb Folgendes leisten:

  • Bei Stromkreisabgängen kann man durch Einsatz von Leistungsschaltern anstatt NH-Sicherungen die Verlustleistung zwischen 20-50% pro Abgang reduzieren.
  • Die Zuleitungslänge der NS-Stromkreise in der Anlage reduzieren. (unter Berücksichtigung des Barycenter Verfahrens siehe hierzu den Abschnitt Energieeffizienz)
  • Nach Möglichkeit für einen Zusammenfassung der NS-Stromkreise sorgen, um den Gleichzeitig­keits­faktor ks zu nutzen (siehe hierzu den den Abschnitt „Voraussichtlicher max. Scheinleistungsbedarf“).
Abb. D26 – Optimierung nach Umweltschutzgesichtspunkten: Ziele und Handlungsoptionen.
Ziele Handlungsoptionen
Reduzierung der Zuleitungslänge von NS-Stromkreisen Platzierung von MS/NS-Verteilnetzstationen nach dem Barycenter Verfahren so nahe wie möglich am Lastschwerpunkt der zu versorgenden NS-Verbraucher
Platzierung von MS/NS-Verteilnetzstationen so nahe wie möglich am Lastschwerpunkt der zu versorgenden NS-Verbraucher Wenn der Gleichzeitigkeitsfaktor einer Gruppe von zu versorgenden Verbrauchern kleiner als 0,7 ist, lässt sich durch Zusammenfassen von Stromkreisen das Volumen der zur Versorgung dieser Verbraucher genutzten Leiter reduzieren.

Dies bedeutet in der Praxis:

  • so nahe wie möglich am Schwerpunkt örtlich konzentrierter Verbrauchergruppen Unterverteilungen vorzusehen,
  • so nahe wie möglich am Schwerpunkt verteilter Verbrauchergruppen Schienenverteilersysteme vorzusehen.

Bei der Suche nach der optimalen Lösung sind u. U. mehrere Szenarien zur Zusammenfassung in Betracht zu ziehen.

Die Verringerung des Abstands zwischen dem Schwerpunkt einer Gruppe von Verbrauchern und dem versorgenden Betriebsmittel verbessert in jedem Fall die Ökobilanz.

Das Beispiel in Abbildung D27 zeigt, wie sich die Zusammenfassung von Strom­kreisen auf die Verringerung des Abstands zwischen dem Verbraucher­schwer­punkt einer Anlage und den in Betracht gezogenen Energie­quel­len nach dem Barycenter Verfahren auswirkt (Lage der NSHV vorgegeben). Dieses Beispiel gilt für eine Mineralwasserabfüllanlage:

  • bei der aus Gründen der Zugänglichkeit und des Umweltschutzes die Aufstellung der elektrischen Betriebsmittel (NSHV) außerhalb des Prozessbereichs im Werk vorgegeben ist,
  • die installierte Leistung beträgt ca. 4 MVA.

Bei Lösung Nr.1 sind die Stromkreise nach Werkhallen verteilt, bei Lösung Nr. 2 nach Prozessfunktionen (Produktionslinien).

Abb. D27 – Beispiele für verschiedene Lastschwerpunkte
Lösung Schwerpunkt
Nr. 1 DB422143a DE.svg
Nr. 2 DB422143b DE.svg

Ohne die Anordnung der elektrischen Betriebsmittel zu ändern, ermöglicht die zweite Lösung Einsparungen von ca. 15% beim Gewicht der zu installierenden NS-Kabel (auf Kosten der Länge) sowie eine gleichmäßigere Auslastung der Transformatoren.

Zur weiteren Optimierung der Architektur tragen folgende flankierende Maßnahmen bei:

  • Einsatz einer automatisch geregelten Kompensationsanlage, so dass die Leitungsverluste zu den Transformatoren und in den NS-Abgangsstromkreisen begrenzt werden,
  • Einsatz von Transformatoren mit stark reduzierten Leerlauf- und Kurzschlussverlusten, entsprechend den Ökodesign-Anforderungen der Verordnung (EU) Nr. 548/2014 vom 21 Mai 2014 zur Umsetzung der Richtlinie 2009/125/EG für Kleinleistungs-, Mittelleistungs- und Großleistungstransformatoren.
  • Ab Juli 2021 tritt die Stufe 2 der Ökodesign-Anforderungen in Kraft und definiert erneut deutlich niedrigere Verlustleistungen für die Transformatoren, so das durchgängig über alle Leistungsgrößen, von 50kVA bis 3150kVA und egal ob Trocken- oder Öl-Transformatoren, nur noch die Verlustreihe Ak/Ao-10% vertrieben werden darf.
  • nach Möglichkeit Einsatz von NS-Schienenverteilern aus Aluminium, geringeres Gewicht und höheres Vorkommen dieses Metalls gegenüber Kupfer.

Wartungsumfang

Empfehlungen zur Reduzierung des Umfangs der vorbeugenden Wartung:

  • Es gelten dieselben Empfehlungen wie für die Reduzierung des Arbeitsaufwandes vor Ort.
  • Wartungsarbeiten auf kritische Stromkreise konzentrieren,
  • Betriebsmittelauswahl standardisieren,
  • Verwendung von für den Einsatz unter besonderen Betriebsbedingungen vorgesehenen Betriebsmitteln (mit entsprechend geringerem Wartungsaufwand).

Versorgungssicherheit

Empfehlungen zur Verbesserung der Versorgungssicherheit:

  • Reduzieren der Anzahl von Abgangsstromkreisen pro Schaltanlage, um die Folgen eines möglichen Ausfalls einer Schaltanlage zu begrenzen,
  • Verteilen der Abgangsstromkreise nach Verfügbarkeitsanforderungen,
  • Einsatz von anforderungsgerechten Betriebsmitteln (siehe Service-Level-Index)
  • Befolgen der für die Planungsschritte 1 und 2 vorgeschlagenen Auswahlrichtlinien (siehe Abb. D3) im Abschnitt Aufbau des Planungsprozesses.

Empfehlungen zur Erhöhung des Verfügbarkeitsgrades:

  • Umstellen von einer Stich Einspeisung auf eine parallele Konfiguration,
  • Umstellen von einer parallelen auf eine doppelseitige Konfiguration,
  • Umstellen von einer doppelseitigen Konfiguration auf eine unterbrechungsfreie Konfiguration mit USV und einem automatischen Netzumschalter
  • Erhöhen der vorbeugenden Wartung (Reduzierung der MTTR, Erhöhung der MTBF)

Energieeffizienz

In der IEC60364-8-1 (VDE 0100-801) wird das Barycenter Verfahren beschrieben, mit dem die geographische Lage des realen Lastschwerpunktes in einer elektrischen Anlage berechnet wird. (weitere Informationen zur Norm siehe im Kapitel K Energieeffizienz in elektrischen Verteilnetzen), Ziel der Barycenter Methode ist es, die Verlustleistungen / den Spannnungsfall im Leitungsnetz / Schienenverteilernetz zu reduzieren in dem der Standort der HS/NS Stationen möglichst dicht am berechneten ( idealen ) Lastschwerpunkt gewählt wird. Nicht so wie bisher üblich, möglichst dicht an dem in der Straße verlegten HS-Kabel in einem Raum, der möglichst direkt von der Straße aus zugänglich ist.

Die Norm beschreibt dafür zwei Formeln

  • für die 3-Dimensionale Berechnung
[math]\displaystyle{ \left(x_b,\;y_b,\;z_b\right)=\frac{\sum_{i=1}^{i=n}\left(x_i,\;y_i,\;z_i\right)\;\times\;EAC_i}{\sum_{i=1}^{i=n}\;EAC_i} }[/math]
  • für die 2-Dimensionale Berechnung
[math]\displaystyle{ \left(x_b,\;y_b\right)=\frac{\sum_{i=1}^{i=n}\left(x_i,\;y_i\right)\;\times\;EAC_i}{\sum_{i=1}^{i=n}\;EAC_i} }[/math]


Jede Last muss beschrieben werden durch:

  • die Koordinaten ihrer Anordnung (xi,yi,zi) oder (xi,yi)abhängig davon ob 3D oder 2D
  • den geschätzten Jahresverbrauch (en: estimated annual consumption (EAC) in kWh, EACi

Wenn die Abschätzung der Last nicht vorliegt, sollte stattdessen die Leistung in kVA verwendet werden.

Die Anordnung des Lastschwerpunktes der durch die Koordinaten (xb,yb,zb) oder (xb,yb) definiert wird, muss mit den oben genannten Formeln berechnet werden.

Der so berechnete Lastschwerpunkt hilft festzulegen ob eine Zentrale oder Dezentrale Energieverteilung mit zwei oder mehreren HS/NS Stationen geplant werden sollte.

  • Befindet sich der berechnete Lastschwerpunkt im Randbereich des Gebäudes ist es Effizient eine Zentrale HS/NS Station möglichst in der Nähe des berechneten Lastschwerpunktes vorzusehen.
  • Befindet sich der berechnete Lastschwerpunkt in der Mitte des Gebäudes ist es wahrscheinlich effektiver einen zweiten oder mehrere HS/NS Stationen Dezentral anzuordnen, hierfür ist der Lastschwerpunkt je HS/NS Station separat zu berechnen um den optimalen Standort jeder Station zu ermitteln.
  • Generell kann man jedoch sagen, wenn das oder die zu versorgenden Gebäude über >2000m² Grundfläche verfügen, ist eine Dezentrale Anordnung mit zwei oder mehreren HS/NS Station vorzuziehen, insbesondere dann wenn Großverbraucher weit voneinander entfernt angeordnet werden müssen.
  • Es ist jedoch zu berücksichtigen das das EVU zumindest bis zum Netzübergabepunkt hinter den HS-Einspeisefeldern eine permanente Zugänglichkeit benötigt und das der Standort der HS-Anlage mit dem EVU abzustimmen ist.
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